Mit konservativen Methoden Kindern ein lebensfrohes Leben ermöglichen

Das Gute bei uns in der Werkstatt ist, dass eine Basis da ist. Das Wissen, wie ein Schuh gebaut oder eine Schiene angepasst wird, besteht. Jetzt kommt das, was sich nur ganz schwer in Worte fassen lässt, ohne dabei hochmütig zu klingen.  Denn was in unserer Werkstatt am meisten fehlt, ist Qualität, …

Man kann sagen, dass auf der ganzen Welt, der Schuhmacher, einer der niedersten Berufe ist. Wer mag denn bitte stinkende Füß, schmutzige Schuhe und von beidem ziemlich viel? Wahrscheinlich keiner.

Für mich gehörte es einfach schon immer dazu. Als kleiner Junge blätterte ich durch irgendwelche Fachzeitschriften mit Diabetiker Füßen, als Jugendlicher half ich wöchentlich in unserer Firma aus und heute bin ich Orthopädie Schuhmacher Geselle. Geselle in einem aussterbenden Beruf, der bei uns in Afrika, aber leben und vor allem überleben bedeutet.  

Zum Beispiel der Klumpfuß.

Ich glaube es ist oder war die meist verbreiteste Erbkrankheit. Im 19. Jahrhundert und davor musste man, in Deutschland, vor der Hochzeit angeben, ob in der Familie des jeweiligen ein Klumpfuß „vorhanden“ ist, oder nicht. Ich weiß nicht wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist aber es besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit,  dass dieser, an die kommenden Kinder, weitergegeben wird. Es würde bedeuten,  dass man ein Kind mit Behinderung hat. Behinderung klingt immer so direkt ausgrenzend, doch es ist bloß etwas da, was einen hindert, laut allerwelts Ansicht,  normal und gesund zu sein. Das Problem war, dass das Kind, wie jedes andere Kind, versorgt werden musste aber gleichzeitig nicht wie die gesunden Kinder bei z.B. der Feldarbeit helfen konnte. Für die meisten Menschen damals nicht tragbar.

Heute wird ein Klumfuß direkt nach der Geburt operativ behandelt und noch in der Kindheit sieht man die Behinderung gar nicht mehr. Man sieht ihn in West-Europa, Gott sei Dank, fast gar nicht mehr.

Anders als hier in Ghana,  hier besteht die Häufigkeit des Klumpfusses noch immer. Neben dem Klumpfuß hab ich so viele Deformitäten, Hüftabwärts, gesehen, wie ich mir niemals hätte vorstellen können, oder viel mehr, niemals hätte vorstellen wollen. Das schlimmste daran ist, es sind immer nur Kinder.  Ob das heißt, dass die Lebensdauer von einem Menschen mit Deformität nur von kurzer Dauer ist, möchte ich gar nicht hinterfragen. 

Hier bestehen die Probleme, die für uns schon vergessen sind.  Okay, in Ghana ist es nicht so schlimm, aber in anderen afrikanischen Ländern,  werden Kinder mit solchen Hinderungen ausgegsetzt. Sie sind einfach nicht tragbar für die Familien.  Ich will jetzt nicht mit dem Thema Verhütung anfangen, denn das ist nicht mein Thema.  Doch die hohe Kinder Population macht das ganze nicht einfacher. Kinder werden einfach ersetzt und vergessen. 

Für mich persönlich ist jedoch das schlimmste,  dass wir die Lösung kennen!

Wir befinden uns mitten auf dem Weg der modernen Demenz

Hätte ich gewusst, dass ich wirklich irgendwann mal das, was ich in der Berufsschule gelernt haben sollte (man muss ja ehrlich bleiben…) anwenden würde, hätte ich wahrscheinlich (immer noch ehrlich) besser aufgepasst.  Doch das habe ich nicht! Wofür sollte ich was über Spitzfüße, Hackenfüße, Klumpfüße oder Sichelfüße lernen,  wenn im nächsten Satz die modernen, alternativen Methoden aufgezählt werden, mit denen ich als Schuhmacher gar nichts am Hut habe. Das ist wieder ein Punkt, an dem ich unglaublich zu fressen habe. Wir lernen so viel, von dem wir nichts bzw. nur ganz wenig, in unserem Berufsalltag anwenden.  Wir befinden uns mitten auf dem Weg der modernen Demenz.

Während wir unser Wissen aufgrund von nicht Verwendung reduzieren und vergessen, wird hier mit konservativen Methoden, alles mögliche ist versucht, um den Kindern ein lebensfrohes Leben zu ermöglichen.  Denn diese Kinder haben das so verdient!  Es drückt so eine große Last auf ihren Schultern. Sie müssen nicht nur ihre Behinderung ertragen, sie müssen damit leben. Sie müssen mit ihren Eltern, die ihr komplettes „Vermögen“ für die Rehabilitation ausgeben, auskommen. Diese lassen das die Kinder oft spüren. Von Mobbing, Chancen-Ungleichheiten, den langen Wartezeiten oder Schmerzen mal abgesehen. Sie sind echt arm dran und eine Garantie für Erfolg gibt es nicht.

Doch diese Kinder sind immer fröhlich.

Auch wenn da immer so ein komischer Obruni in der Werkstatt ist. Wir lachen sehr viel zusammen und das tut so gut. Es gibt nichts schöneres als dieses unbeschwerte Kinderlachen zu hören. Wenn es nicht offensichtlich wäre, das eine Deformität vorliegt,  würde man das gar nicht merken.

Das Gute bei uns in der Werkstatt ist, dass eine Basis da ist.

Das Wissen, wie ein Schuh gebaut oder eine Schiene angepasst wird, besteht. Jetzt kommt das, was sich nur ganz schwer in Worte fassen lässt, ohne dabei hochmütig zu klingen.  Denn was in unserer Werkstatt am meisten fehlt, ist, Qualität, Anatomisches Know-How und Genauigkeit. Für mich in Deutschland selbstverständlich.  Und man darf nicht vergessen,  wir sind einer der einzigen Werkstätten,  die es in Ghana gibt. Und dies, sind die wichtigsten und grundlegenden Punkte, um Maßarbeit zu fertigen.

Wenn man Orthopädische-Schuhe anfertigt, muss man verschiedene Maße vom Fuß nehmen. Je mehr Maße man nimmt desto genauer kann man arbeiten. Ich will nicht lügen, doch ich glaube, dass wir im Deutschland mindestens 8 Maße nehmen und verschiedene Umrisszeichnungen und Abdrücke haben, um ein Leisten zu bauen. Der Leisten ist ein Dublikat/ maßgenaues Modell vom Fuß,  dass erarbeitet wird, um später den Massschuh maßgerecht zu bauen. Neben den Maßen, Zeichnungen und Abdrücken, geben die natürlich gegebenen Fußstrukturen Hilfestellung, um dem Leisten eine füßige Form zu geben und ein anatomisch und biomechanisch Korrektes Fuß-Modell zu schaffen. Das ist wichtig, da wir durch den Schuh neben einem perfekten Sitz ein optimales Gehverhalten ermöglichen wollen.

Hier nehmen wir nur 2 Maße und haben einen einzigen Fußumriss in Form einer Zeichnung. Und an den Fußstrukturen wird sich gar nicht orientiert.  Die Ballen Linie,  zum Beispiel, liegt da, wo die Zehen sein sollten. Der Spann ist so groß wie bei einem Erwachsenen oder die Medialestütze (eine Stütze der Längswölbung) hat ein viel zu weit hinten oder vorne gesetzten höchste  Punkt.  Es ist also mehr Pi mal Daumen was hier als Maßarbeit verkauft wird. Wie gesagt,  ich will nicht hochmütig klingen.  Doch mit den Augen der Selbstverständlichkeit, wie ich es kenne,  ist es eine harte aber bestehende Tatsache.

Ich habe also eine ganz schöne „Arschloch -Rolle“ eingenommen

Und ich kann mich auch manchmal selber nicht leiden. Denn ich habe meine Lehre ja auch gerade erst abgeschlossen.  Doch manchmal bin ich ziemlich am verzweifeln.  Wenn mir z.B. jemand den Stand eines Kinderschuh zeigt, der exzellent steht, doch nur, weil er mit seiner vollen Kraft den Schuh zum stehen drückt.

Nicht das ihr jetzt denkt, dass ich wie ein Choleriker durch die Werkstatt tobe. Ich wahre meine Stellung und versuche Schritt für Schritt auf Kleinigkeiten aufmerksam zu machen und die Arbeit qualitativ zu verbessern.  Schließlich war ich selber ja auch ein Schüler der Sorte „Michel aus Lönneberga„. Und der erste Erfolg lässt sich durchaus erkennen. Das Problem ist, ein Jahr reicht dafür nie und nimmer aus.

Vielleicht dauert es Jahre bis man ein erkennbaren Erfolg sehen würde. Doch man würde ihn sehen

Wenn wir aber unser Wissen aufgrund des Nichtgebrauchs vergessen,  wird der Fortschritt keine sichtbaren Erfolge zeigen.  Ich kann es nur nochmal sagen.

Unser Wissen wird hier unten Gebraucht und zwar in jeglicher Form.  Geld wirft nur weitere Fragen in den Raum, während Wissen antworten könnte. 

Der Schlüssel zu allem liegt in der Kindheit.  Was ich damit meine,  werde ich beim nächsten mal versuchen erläutern.

Ich wünsche euch schöne Herbstferien.  Es ist hier völlig unvorstellbar, das in 2 Monaten Weihnachten sein soll.

Es wird immer wärmer, die Fliegen vermehren sich im Akkord und die Zeit rennt ohne zu bremsen.  Der dritte Monat von mir nähert sich dem Ende und damit auch das erste Viertel.

Passt auf euch auf!

Euer Leo

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